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Leselupe.de > Erzählungen
Der ‘Kohlenbuddha‘
Eingestellt am 04. 10. 2016 02:36


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Hagen
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Der ‘Kohlenbuddha‘

Karg und hart war die Nachkriegszeit, nicht nur in Darenwede. Lebensmittel gab es nur streng rationiert auf Marken, und mit den paar Kohlen, welche der Witwe Dengelmann zugeteilt wurden, bekam sie ihr kleines Häuschen nicht warm. Es reichte gerade mal für die Küche und dann auch nur, wenn sie die Wärme zum Kochen benutzte. Tiegelwurst zum Beispiel, die sie mit selbstgezogenem Majoran aus dem eigenen Gärtchen besonders gut zubereiten konnte.
Wenn in der Nachbarschaft ein Schwein geschlachtet wurde, durfte die Witwe Dengelmann das Blut mit ihren Händen rühren. Mit Pfeffer, Salz, Fett sowie selbstgezogenem, frisch angebauten Majoran und Zwiebeln aus ihrem kleinen Gärtchen hinter dem Haus, an dem täglich mehrmals die Güterzüge vorbeirumorten, rührte sie nach ihrer geheimen Rezeptur leckere Blutwurst zusammen.
Sogar Sülze konnte sie aus den gut gesäuberten sowie gründlich gewässerten Eingeweiden zusammen mit Gelatine, Essig, Zucker und Gewürzen aus eigenem Garten schmackhaft zubereiten und später gegen Speck und Käse tauschen. Bei der Zubereitung von Wurst und Sülze ging ihr mühsam zusammengesparter Kohlevorrat drauf und die Witwe Dengelmann musste im folgenden, klirrend kalten Winter des Öfteren in ihr ungeheiztes Schlafzimmer gehen, an dessen Fensterchen sich bald Eisblumen formten und sich an den Wänden glitzernde Eiskristalle bildeten. Sogar die Wärmflasche, die sie sich bereitete und mit ins Bett nahm, war am nächsten Morgen eingefroren, wenn sie erkaltet aus dem schmalen Bett fiel.
So schritten die Jahre nach dem Krieg ins Land, und Kurt, der Sohn der Witwe Dengelmann, kehrte das erste Mal von See zurück.
„Wir haben Schnappgut in Ostindien gefasst“, sagte er, „sonst hätte ich Kaffee, Kakao und so mitgebracht, aber diesmal habe ich Sake aus Japan und Baijiu, Frühlingszwiebeln, Chili, Sojasauce und Ingwer aus China. – Und dann habe ich noch eine ganz wundervolle Überraschung für dich, aber die liegt noch beim Zoll.“
Seine Mutter war gespannt, fragte: „Was ist denn Baijiu?“, und begann ihrem Sohn ein deftiges Brot zu bereiten, weil sie, wie jede gute Mutter der Ansicht war, dass ihr Sohn zu abgemagert sei, weil sie gehört hatte, dass es auf Schiffen, und besonders in Indien, nie genug zu Essen gibt.
„Baijiu, ist ein wertvoller, Chinesischer Schnaps“, sagte Kurt und sah zu, wie seine Mutter Bauchspeck, Zwiebeln, Milch, Mehl, Majoran, ein Ei, Salz und Pfeffer bei leichtem Feuer glasig briet, obwohl Lebensmittel und Brennmaterial knapp war.
„Ich mache dir erst mal ein Brot mit Affenfett“, sagte die Witwe Dengelmann, „sonst kann ich dir leider nichts bieten. Den Baijiu wollen wir schön zulassen, aber den Sake möchte ich mal probieren.“
Gesagt, getan. Kurt war der ewige Labskaus auf dem Schiff leid, und er haute tüchtig rein.
Wie es sich für einen Seemann an Land gehört, erzählte Kurt bei Brot mit Affenfett und Muckefuck sowie Sake, vom Klabautermann, der sich durch Poltergeräusche auf Schiffen bemerkbar macht.
„Auf jedem Schiff ist ein Klabautermann“, erzählte Kurt, „wenn er klopft, bleibt er, wenn er hobelt, geht er. Das bedeutet nichts Gutes!“
Er berichtete weiterhin von Monsterwellen, hoch wie die Kiefern auf dem Hof von Bauer Reimers und Riesenkraken im Ostchinesischen Meer, so lang wie die Güterzüge, die hinter dem Gärtchen seiner Mutter vorbeidampften.
Sie tranken Sake, und während der nächsten kalten Nacht konnten sie trotz der Kälte gut schlafen, weil der Sake innerlich wärmt. Nur Kurt tat sich etwas schwer mit Schlafen, weil er das laute Rumpeln und Quietschen der Güterzüge hinter dem Haus seiner Mutter nicht gewöhnt war.
Den Chili, die Sojasauce, den Ingwer und vor allem den Baijiu stellte die Witwe Dengelmann gut weg, um diese kostbaren Dinge gegen Speck und Käse einzutauschen wenn ihr Sohn nicht mehr da ist. Aber das sagte sie ihm nicht.
Der wiederum sagte seiner Mutter nicht, was er für eine Überraschung für sie bereit hielt, die jedoch noch vom Zoll zurückgehalten wurde. Er freute sich aber auf die leuchtenden Augen seiner Mutter, wenn er ihr diese bildschöne Überraschung in den Garten stellen würde. Ach, wie verwundert sie doch sein wird!
Als dann am nächsten Tag ein Lastwagen vor dem Häuschen der Witwe Dengelmann hielt und zwei starke Männer die schwere Fracht abluden, war die Witwe Dengelmann entsetzt, sozusagen vom Donner gerührt.
Die Überraschung war nämlich eine Buddhastatue, lachend, glatzköpfig, mit Brüsten wie von einer vornehmen Dame und mit dickem Bauch, so wie man sich einen Buddha eben vorstellt.
Dieser Buddha sah aber aus wie Hermann Göring!
So was wollte sie in ihrem Garten nicht haben!
Hatte dieser Göring doch dazu beigetragen, dass ihr Mann während des Russlandfeldzuges gefallen war und sie als noch junge Frau zurückgelassen hatte.
Es half nichts, dass Kurt sein mühsam gesammeltes Wissen von fremden Kulturen preisgab und erzählte, dass es sich bei der Statue nicht um Hermann Göring, sondern um einen ‘Bodhisattva‘ handelte, also ein nach höchster Erkenntnis strebendes Wesen, das auf dem Wege der ‘Tugendvollkommenheit‘ die ‘Buddhaschaft‘ anstrebt, beziehungsweise in sich selbst realisiert, um sie zum Heil aller lebenden Wesen einzusetzen.
„Nix da mit Buddhaschaft, die in sich selbst realisiert ist, um sie zum Heil aller lebenden Wesen einzusetzen! Geh mir vom Acker mit diesem Bodhisdingsbums!“, antwortete die Witwe Dengelmann ergrimmt, „davon werde ich nicht satt und kriege mein Haus nicht geheizt! Das Monstrum sieht trotzdem aus wie Hermann Göring mit seinem dicken Bauch! Der kommt mir nicht in meinen Garten und nimmt Platz weg für meinen Majoran, den ich dringender brauche, als die Statue von einem Bodhisdingsbums!“
Da Kurt aber ein betrübtes, sogar zerknirschtes Gesicht machte, weil er seiner Mutter mit der Statue des Bodhisattva wirklich und wahrhaftig eine Freude bereiten wollte, gestattete sie doch, dass die Männer den Bodhisattva ganz hinten in den Garten stellten. Da wo die Güterzüge immer vorbei donnerten; - aber mit dem grinsenden Gesicht zu den Gleisen, weil sie Hunger hatte und den dicken, vollgefressenen Bauch des Bodhisdingsbums nicht ertragen konnte.
Nun ja, es vergingen drei Tage, dann musste Kurt wieder nach See. Aber die Witwe Dengelmann verbrauchte in diesen drei Tagen die gesamte Kohleration für den ganzen Monat, um ihrem Sohn wenigstens etwas Wärme zu bieten.
Als Kurt wieder nach See war, ging sie in ihr Gärtchen um den Bodhisattva doch noch mal in Augenschein zu nehmen, denn ihr Sohn hatte ihr ja eine riesige Freude machen wollen.
Dabei wurde sie eines Stücks Kohle von beachtlicher Größe ansichtig.
Nicht wie die sorgsam abgezählten Briketts die ihr zugeteilt wurden, nein ein richtiger Kohlebrocken, wie er zum Heizen einer schweren Güterzuglokomotive in Massen gebraucht wurde. Sie schaute intensiver nach und fand noch drei weitere Brocken von dem gleichen Großformat.
Ein wahrer Schatz!
Als sie im ihrem Gärtchen stand und ihr Glück kaum fassen konnte, dampfte wieder ein Güterzug vorbei und aus einem Fenster der Lokomotive flog abermals ein gewaltiger Kohlebrocken und traf den Bodhisattva genau auf seinem dicken Bauch.
Das machte der Statue nichts aus, aber die Witwe Dengelmann freute sich über weiteres Brennmaterial. Sie ging fortan des Morgens immer zunächst in ihr Gärtchen um statt Majoran Kohlebrocken zu ernten.
Sei es, dass die Heizer der Güterzüge sich einen Spaß draus machten, im Vorbeifahren aus Narretei mit einem Stück Kohle nach dem Bodhisattva zu werfen oder ob die Statue sie auch an Hermann Göring erinnerte, dessen Abbild man nach seinen Suizid nochmals eine Lektion erteilen musste, weiß man nicht.
Die Witwe Dengelmann jedenfalls konnte endlich ihr ganzes Häuschen heizen und mit den überschüssigen Kohlen Speck und Käse eintauschen.
Manchmal stand sie wartend auf den nächste Güterzug in ihrem Gärtchen, in gehörigem Abstand zu der Statue selbstverständlich, da einige Heizer nicht zielsicher waren, und fragte sich, ob der Bodhisdingsbums auf diese Weise zum Heil aller lebenden Wesen, und speziell ihr, beigetragen hatte.





Version vom 04. 10. 2016 02:36
Version vom 05. 10. 2016 17:44

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Blumenberg
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Hallo Hagen,

so viele Geschichten, da kommt man ja kaum mit dem Lesen hinterher :-)
Du lieferst hier eine eine nette Geschichte, die den Alltag im Nachkriegsdeutschland mit ein wenig fernöstlicher Mystik mischt. Dabei zeichest du den Nachkriegsalltag und seine Probleme - Heizmittel- und Nahrungsmittelknappheit sehr anschaulich. Auch die Pointe gefällt mir, es darf ja auch mal ein gutes Ende nehmen.
Da dies ein Literaturform ist habe ich neben Lob auch noch ein paar Anmerkungen zu deiner Geschichte, die mir, aus meiner subjektiven Leserperspektive heraus, aufgefallen sind.
Erstens finde ich das die häufigen Wiederholungen innerhalb des Textes ein wenig den Lesefluss hemmen.

quote:
Seine Mutter war gespannt, fragte: „Was ist denn Baijiu?“, und begann ihrem Sohn ein Brot mit Affenfett zu bereiten.
„Baijiu, ist ein wertvoller, Chinesischer Schnaps“, sagte Kurt und sah zu, wie seine Mutter Bauchspeck, Zwiebeln, Milch, Mehl, Majoran aus ihrem Gärtchen, ein Ei, Salz und Pfeffer bei leichtem Feuer glasig briet, obwohl Brennmaterial knapp war.
„Ich mache dir erst mal ein Brot mit Affenfett“, sagte die Witwe Dengelmann, „sonst kann ich dir leider nichts bieten. Den Baijiu wollen wir schön zulassen, aber den Sake möchte ich mal probieren.“
Gesagt, getan.
Wie es sich für einen Seemann an Land gehört, erzählte Kurt bei Brot mit Affenfett und Muckefuck sowie Sake, vom Klabautermann, der sich durch Poltergeräusche auf Schiffen bemerkbar macht.

Beispielsweise taucht in diesem kurzen Abschnitt drei Mal das Brot mit Affenfett vor. Im Abschnitt vorher ist es der Majoran aus eigenem Anbau, oder der Überraschung an späterer Stelle. Hier würdeich versuchen die Wiederholungen herauszunehmen.

Daneben ist mir noch eine weitere Stelle aufgefallen. Du schreibst:
quote:
Als dann am nächsten Tag ein Lastwagen vor dem Häuschen der Witwe Dengelmann hielt und zwei starke Männer eine gewaltige Buddhastatue abluden, war die Witwe Dengelmann entsetzt, sozusagen vom Donner gerührt.
Die Überraschung war eine Buddhastatue, lachend, glatzköpfig, mit Brüsten wie von einer vornehmen Dame und mit dickem Bauch, so wie man sich einen Buddha eben vorstellt.

Hier finde ich holpert es ein wenig, da der zweite Satz die Überraschung auflöst, die aber bereits im Satz davor aufgelöst wurde. Das Problem ließe sich lösen, wenn du im ersten Satz die Buddahstatue durch Fracht sersetzt. Also: "...und zwei Männer starke Männer die Fracht abluden,...".

Ein letzter Punkt noch, aber das ist nur herumgesponnen weil ich die wundersame Kohleproduktion so eine nette Idee fand. Ich hätte die gute Frau Dengelmann über die erschienenen Kohleklumpen noch ein wenig länger grübeln lassen, anstatt es sofort durch den heranfahrenden Zug aufzulösen. So käme noch ein wenig sinnieren über die wundersame Kraft des "Bodhisdingsbums" hinzu.

Insgesamt aber gerne gelesen!

Beste Grüße

Blumenberg

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Hagen
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Hallo Blumenberg!

Danke erst mal, dass Du Dich mit meinem Text beschäftigt hast, und für die gute Benotung.
Das ist ja das Schöne an der LL, das die Texte und Autoren so vielschichtig sind. Ich bin nun schon eine ganze Weile dabei, und Schreiben macht mir als Rentner einfach Spaß. Da sammelt sich natürlich allerhand an.
Und damit sind wir bei dem nächsten Punkt. Ich kann einfach nicht anders; - wenn es einmal läuft, dann füllt sich gar manche Seite und es kommt viel zustande.
Das Ding mit dem Buddha ist meinem Darenwede-Epos entnommen, der wahrscheinlich niemals enden wird.
Manche Leute sagen, ich sei ‘Detailverliebt‘, was mich sehr freut. Viel Recherche ist auch notwendig, aber irgendwie macht es mir Spaß, und mich von mühsam recherchierten Details zu trennen; - also das bringe ich nun auch wieder nicht fertig, und dann kommt sowas zustande wie die Nummer mit dem ‚Affenfett‘.
Ich werde aber sogleich nochmal drüber gehen.
Das Gleiche betrifft auch das Ding mit der ‚Ladung des LKWs‘. Da hast Du mir einen echt wertvollen Tipp gegeben, den ich eilends beherzigen werde!

So, nun habe ich Dich genug vollgelabert und mache mich an die Überarbeitung.
Ich verbleibe mit herzlichen Grüßen.

Wir lesen uns!

Yours Hagen

__________________________________
Du kannst sooft Korrektur lesen wie du willst, es ist immer einmal zu wenig.

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