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Leselupe.de > Erzählungen
Sachen
Eingestellt am 19. 10. 2016 08:34


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Ji Rina
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Ich hielt meine Mutter nie für eine Messie, das muss ich gleich zu Beginn klarstellen. Sie besaß ein großes, ordentliches Wohnzimmer, wo alles seinen Platz hatte. Schöne Holzregale und Vitrinen, in denen sie geschmackvolle Dekostücke aufbewahrte. Eine gemütliche Sitzecke neben dem Kamin. Bilder an den Wänden, von denen einige sogar einen Namen hatten. Auch in der Küche hatte alles seinen Platz: der Toaster, die Mikrowelle, die Brotschneidemaschine, der elektrische Dosenöffner, all das stand jahrelang ordentlich an derselben Stelle. Aber wenn meine Mutter eine besondere Schwäche hatte, dann war es die des Sammelns. Ihre Vorliebe galt keinen besonderen Dingen, sondern allem Möglichen. Ich nenne sie einfach Sachen. Ja, das war es, was sie interessierte: Sachen, egal welche.

In den zehn Jahren, in denen ich mit ihr in einem Haus lebte, gewöhnte ich mich daran. Ich erinnere mich noch, als wir das Haus, in das wir zusammen einzogen, das erste Mal sahen. Die Wände waren gerade frisch gestrichen worden, die Böden glänzten. 150 Quadratmeter Fläche warteten darauf, von uns bewohnt zu werden. Wir begannen, das Haus schön einzurichten, und während des ersten Jahres war alles noch ganz normal. Man konnte noch auf der Couch vor dem Fernseher sitzen, sich entspannt zurücklehnen und Wetten Dass ansehen. Es war noch möglich, hinten raus über die Terrasse zu dem Anbau zu gehen, in dem ich meinen Wohnraum hatte. Und man konnte auch den Wagen vor dem Haus problemlos parken oder wenden, wenn einem danach war. Mit der Zeit begannen sich die Sachen im Haus jedoch anzuhäufen. Ich arbeitete den ganzen Tag in einem dreißig Kilometer entfernten Büro und hatte keine wirkliche Ahnung von dem, was meine Mutter den ganzen Tag lang so trieb. Manchmal arbeitete sie im Garten, wo sie Blumen umtopfte oder die Erde harkte. Oder sie stand in der Küche, wo sie einen Eintopf kochte, den sie dann portionsweise einfror. Andere Male fuhr sie in ihrem Wagen ins Dorf, um auf den Markt zu gehen, um Gemüse und Obst für die Woche zu kaufen. Jedes Mal, wenn sie ins Dorf wollte, musste sie an einer Müllstelle vorbeifahren; einer Stelle am Straßenrand, an der Bewohner der Außenbezirke ihren Müll deponierten, der dann samstags von der Dorfgemeinde mit einem Laster abgeholt wurde. Ich kannte die Stelle gut. Die Bewohner stellten dort nicht nur ihren Müll ab, also den Küchenmüll, sondern alles, was sie nicht mehr gebrauchen konnten. Wenn andere Menschen etwas nicht mehr gebrauchen konnten, hieß es aber noch lange nicht, dass es nicht für meine Mutter brauchbar war. Aus dem Grund machte sie fast immer vor dieser Müllstelle halt. Manchmal hielt sie dort, weil sie ihren Müll abstellen wollte, meistens nichts weiter als eine kleine Plastiktüte voller Kartoffelschalen und leerer Dosen. Und sehr oft fuhr sie mit einem halb vollgeladenen Wagen wieder weiter. Zum Beispiel an jenem Tag, an dem sie acht sehr große Setzkästen auf der Müllstelle fand. Es waren originale Holzschubladen aus einer Druckerei, die – dessen war meine Mutter sich ganz sicher – bestimmt ihren Wert hatten. Ein anderes Mal fand sie fünf große Spiegel, sehr hohe, die sicherlich auch einiges kosteten. Einen besonders guten Fang machte sie an dem Tag, als sie mit drei Schaufensterpuppen im Auto wegfuhr.
Wenn ich sie dann fragte, wozu sie die vielen Spiegel, Setzkästen und Mannequins brauchte, warf sie mir einen Blick zu, als ob ich vom Mond käme:
»Wozu sind Spiegel nützlich? Wozu Schaufensterpuppen oder Fensterscheiben?«
Und da ich merkte, dass sie auf diese Fragen jedes Mal sehr empfindlich reagierte, vermied ich es, darüber zu reden.
Ich beobachtete, was alles an neuen Sachen in unserem Haus auftauchte, und sagte nichts mehr. Unser Esstisch in der Küche war immer vollgepackt: ein Hammer, eine Klebetube, Schrauben, Taschenlampen, Gummibänder, Zettel. Und es gab auch Schalen, die mit kleineren Sachen gefüllt waren: Briefmarken, Stecknadeln, Döschen, Schräubchen. Wenn man am Küchentisch frühstücken oder essen wollte, musste man erst mal diese ganzen Sachen zur Seite schieben, damit man einen Teller hinstellen konnte. Ein Jahr nach unserem Einzug konnte man diese gefüllten Schalen überall im Haus finden: auf dem Kühlschrank, auf den Ablagen des Badezimmers, auf dem Wohnzimmertisch. Es waren Schalen, in die sie die ganz kleinen, winzigen Sachen reinpackte, um nicht den Überblick zu verlieren: die winzige Porzellannase, die einer Puppe mal abgefallen war, eine Briefmarke, ein Streichholz, das sicherlich nützlich sein könnte, falls die Streichholzschachtel mal leer wäre etc. …

Ich muss zugeben, dass es Momente gegeben hat, in denen ich irgendetwas Bestimmtes in kürzester Zeit auch gefunden habe. Und zwar genau dann, wenn ich es gerade mal brauchte: eine Tube Schnellkleber, ein Hustenbonbon oder einen Teppichklopfer (wer besitzt heutzutage noch ein Teppichklopfer?). Ich jedenfalls war mir sicher, dass wir keinen besaßen, als ich einen brauchte. Und siehe da, es war nicht nur so, dass wir einen im Haus hatten, sondern meine Mutter wusste auch sofort, wo: in der Küche hinter dem Kühlschrank.

Nach zwei Jahren war das Haus mit Sachen zugebaut. Dinge quollen aus den Regalen, standen übereinander in jeder Ecke. Und auf dem Weg über die Terrasse zum Anbau standen Kartons und Säcke voller Sachen, in die ich nie reinblickte oder nicht reinblicken konnte, weil sie oben mit einem Bändchen sorgfältig zugeschnürt (und verknotet) waren. Wenn ich am Wochenende im Haus sauber machte, um meiner Mutter ein bisschen behilflich zu sein, tat ich es nur mit dem Staubsauger: Ich saugte einfach über die Sachen hinweg oder drum herum. Das Praktische daran war, dass man sehr schnell fertig wurde. Manchmal saugte ich um so viele kleine Sachen herum, dass diese aus Versehen mit eingesaugt wurden. Meine Mutter ahnte dies und hasste es, wenn ich zum Staubsauger griff. Gerade das Verschwinden sehr kleiner Dinge war ihr ein Albtraum.
Dieses Thema war sehr heikel, und deshalb vermieden wir es, darüber zu sprechen: Was ist für wen nützlich? Das ist ein bisschen so, als diskutiere man über Religion oder Politik. Ich ließ es sein, auch weil ich immer im Stress war und keine Zeit hatte. Von zu Hause fuhr ich ins Büro und vom Büro abends müde zurück nach Hause, wo ich mich nur noch aufs Sofa vor den Fernseher fallen ließ.
Der Weg über die Terrasse zum Anbau – meiner kleinen Wohnung – wurde immer schmaler. Links und rechts häuften sich immer mehr Sachen an, und manchmal schob ich die Sachen einfach nur mit dem Schuh dreißig Zentimeter weiter nach hinten an die Wand, um diesen schmalen Weg, der mir noch geblieben war, breiter zu machen. Um mein Terrain, also wenigstens den Weg in meine Wohnung, zu verteidigen. Aber es gab Tage, an denen meine Mutter anscheinend vergaß, dass ich dort hinter der Terrasse in einer kleinen Wohnung lebte. Denn manchmal war der Weg völlig zugebaut, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als über die Sachen hinwegzusteigen. Wobei mir aber durchaus bewusst war, dass ich dies nicht einfach so hinnehmen durfte, es sei denn, ich wollte irgendwann über das Fenster in meine Wohnung gelangen. Aber nichts war mir unangenehmer, als dieses Thema anzuschneiden. Und deshalb vermied ich es.

Zwei-, dreimal im Jahr, wenn es mich überkam, packte ich das Thema dann doch an und schlug meiner Mutter vor, wenigstens die unbrauchbaren Sachen – also die, die schon seit Jahren in Säcken und Kartons lagen –, wegzuschmeißen, oder zu verschenken. Ich erklärte ihr, dass sich mittlerweile so viel angehäuft hatte, dass wir wichtige Sachen auch gar nicht mehr finden konnten, weil alles verpackt und zugestellt war. Ich nannte ihr als Beispiel den Tag, an dem ich den kleinen Staubsauger suchte. Nicht der große Staubsauger, sondern ein kleiner, der sehr nützlich war, wenn man zum Beispiel mal schnell das Auto staubsaugen wollte. Gut. Dieser kleine Staubsauger befand sich im unteren Regal eines Schranks, vor dem jedoch acht sehr schwere, vollgepackte Kartons standen, die ich keinen Zentimeter bewegen konnte. Also musste ich auf den handlichen Staubsauger verzichten; nicht nur an jenem Tag, sondern auch in den darauffolgenden Wochen und Monaten. Ich sagte: »Dann kauf ich eben ’n neuen. Denn an den komme ich ja nicht mehr ran.«
Meine Mutter saß dann da wie eine Sphinx, eiskalter Blick, unnahbar, mit einem Strichmund, und starrte mir in die Augen. Und mir war klar, dass das als Antwort genügte. Dieses Thema war tabu, und man hatte nicht darüber zu reden.

Eines Tages – ich kam gerade vom Büro nach Hause –, erwartete meine Mutter mich in der Küche. »Ich hab eine ganz tolle Idee!«, sagte sie.
»Und das wäre?«
»Ich werde auf den Flohmarkt gehen, um einige Sachen zu verkaufen!«
Ich stand gerade vor dem Herd und blickte in einen großen Topf Gemüsesuppe, die sie an dem Nachmittag gekocht hatte, und eigentlich hätte mich in dem Augenblick nichts mehr interessieren sollen als das. Doch als ich diese Worte hörte, drehte ich mich auf dem Absatz um: »Um Sachen zu verkaufen?«
Ihre Augen blitzten, während sie mich erwartungsvoll ansah. »Wie findest du das?«
»Keine schlechte Idee«, sagte ich vorsichtig. »Flohmarkt ist was Tolles.«
»Ich könnte zum Beispiel die Mannequins verkaufen«, sagte sie. »Und die Puppen mit den Puppenwagen. Das sind doch alles geeignete Dinge, um sie auf einem Flohmarkt zu verkaufen. Oder? Was meinst du?«
»Ja«, antwortete ich, noch immer zurückhaltend, weil ich wusste, dass jede Art des Drängelns eine kontraproduktive Wirkung hervorrufen könnte. »Für die Schaufensterpuppen würdest du wohl sofort Interessenten finden.«
Ich füllte mir ein Teller mit Gemüsesuppe und versuchte, mir meine Verblüffung nicht anmerken zu lassen. Als ich mich zu ihr an den Tisch setzte, blickte sie nachdenklich zur Decke. Und später, als sie durchs Haus ging, um zu prüfen, was sie sonst noch alles auf dem Flohmarkt verkaufen könnte, verschwand ich in meinem Zimmer, um allein zu sein und um dem lieben Gott für diese außergewöhnliche Eingebung, die er ihr geschenkt hatte, zu danken. Ich stellte mir vor, wie die Sachen langsam aus unserem Haus verschwanden, wie meine Mutter Kisten und Kartons und Säcke ins Auto packte und leere Flächen entstanden. Im Geiste sah ich unsere Terrasse mit nichts anderem als einem Tisch und vier Stühlen und vielleicht noch ein paar hübschen Blumentöpfen drum herum. Halt so wie in jedem anderen, normalen Haus.
Meine Mutter war von ihrer Idee so besessen, dass sie noch in derselben Woche zum Rathaus fuhr und sich nach einem Flohmarktplatz erkundigte. Man gab ihr ein Kärtchen mit der Nummer 322, und sie zahlte den Platz sechs Monate im Voraus. Ich sagte ihr, dass ich sie das erste Mal begleiten würde. Den ganzen Samstag verbrachte sie damit, das Auto mit Sachen zu füllen, während ich mich um die Dinge kümmerte, die wir auf dem Flohmarkt benötigen würden: einen Tisch, eine Tischdecke, zwei Hocker, eine Thermoskanne mit Kaffee.

Sonntag um sieben Uhr früh standen wir dann auf unserem Platz. Ich hatte noch nicht einmal unseren Tisch aufgebaut, als sich die ersten Interessenten bereits nach den alten Kaffeemühlen erkundigten, die meine Mutter gerade aus den Kisten packte. Ein Ehepaar aus Holland nahm später die Mannequinpuppen mit. Und noch bevor es zwei Uhr nachmittags wurde, hatten wir bereits die Hälfte aller Sachen verkauft. Auf der Rückfahrt nach Hause öffnete meine Mutter eine kleine Metallschatulle und zählte erwartungsvoll das Geld.
»Fast dreihundert Euro!«, rief sie.
»Na, damit können wir doch etwas anfangen«, sagte ich vorsichtig.
Am darauffolgenden Sonntag fuhr sie allein zum Flohmarkt. Diesmal brachte sie es auf zweihundertachtzig Euro. Und am dritten Sonntag kam sie mit dreihundervierzig Euro zurück.
»Jetzt könnten wir uns das kleine Gartenhäuschen leisten, das wir im Einkaufszentrum gesehen haben«, sagte ich. »Weißt du noch? Dieses Häuschen, in dem wir das Gartenwerkzeug hineinstellen könnten.«
»Jaha!«, antwortete sie enthusiastisch. »Wir könnten jetzt auch die Markise für die Terrasse kaufen! Ich hab heute nicht nur viel verkauft, sondern auch ganz tolle Sachen gefunden!«
»Gefunden?«
»Ja. Jetzt wirst du staunen!«
Sie rannte aus der Küche und hastete zum Auto. Ich beobachtete sie durch das Küchenfenster und sah, wie sie mit einem großen Karton unter dem Arm zurückkam. »Guck dir das nur an!«, sagte sie und kramte lauter Dinge aus dem Karton, die sie auf den Küchentisch stellte.
»Eine ganz tolle Pfeffermühle für nur einen Euro! Dabei habe ich neulich eine ganz Ähnliche für zehn Euro verkauft! Hier, schau! Eine Öllampe für drei Euro! Ist die nicht hübsch? Unsere alte Öllampe hat mir ein Engländer letzte Woche für zwölf Euro abgekauft! Er sagte noch, dass sie ideal für sein Segelboot sei.«
»Man könnte also sagen, dass du dieselben Sachen kaufst, die du gerade verkauft hast«, sagte ich.
Sie sah mich aus verengten Augen an. »So könnte man es sagen. Aber … Fällt dir dabei denn nichts auf?«
Ich erwiderte ihren Blick. Eigentlich war ich nicht darauf bedacht, mich auf ein solches Gespräch einzulassen, da es ganz bestimmt in keine gute Richtung verlaufen würde.
»Ich verkaufe die Dinge mit Gewinn!«, sagte sie. »Das ist das Geschäft des Flohmarkts. Man kauft für wenig Geld und verkauft es dann teurer. Und das bedeutet Gewinn. So funktioniert die Welt.«
»Mh«, sagte ich. Ihr Geduldsfaden lag an der Grenze. Das spürte ich.

Und so lief meine achtzigjährige Mutter jeden Sonntag bei Dämmerung aus dem Haus. Schwang sich auf den Fahrersitz ihres VW-Busses und fuhr zum Flohmarkt. Selbst bei vierzig Grad Hitze oder im Winter, bei prasselndem Regen oder Eiseskälte stand sie da, mit Handschuhen, eingemummt in dicke Wollpullover, und verkaufte die Dinge, die sie eine Woche zuvor an irgendeinem Stand billig gekauft hatte. Auf der Rückfahrt nach Hause brachte sie immer mehr Sachen mit. Einmal kam sie mit einem vollen Auto gebrauchter Teppiche, die ein Marokkaner ihr zu einem Spottpreis vermacht hatte, da er dringend das Geld benötigte, um nach Marokko zu fahren.
»Du mir geben hundert Euro! Und du verkaufen für zweihundertfünfzig!«, hatte er ihr erklärt.

So vergingen die Jahre. Vor unserem Hauseingang häuften sich Holzplatten in allen Größen an. Leere Blumentöpfe standen dutzendweise herum. Mehrere alte Fahrräder, Kinderautos aus Plastik, kaputte Bilderrahmen, die irgendwann repariert werden sollten, füllten den Garten. Wenn ich mit dem Wagen bis vors Haus wollte, weil ich vielleicht einen größeren Einkauf im Supermarkt gemacht hatte, konnte ich nur noch vorwärts oder rückwärts fahren. Ein Wenden war nicht mehr möglich, wenn ich nicht über sämtliche Sachen fahren wollte.
Im Haus, in den Regalen und Schränken, gab es keine freie Stelle mehr, und es gab auch keine Stelle mehr, wo man ein neues Regal oder einen neuen Schrank hätte hinstellen können. Im kleinen Gästezimmer am Ende des Flurs gab es ein Regal, das sogar zusammengebrochen war. Es hatte seinen Geist unter der Last der Sachen aufgegeben und lag dann monatelang zugeschüttet von Sachen auf dem Boden, weil es gar nicht möglich war, dorthin zu gelangen, ohne über andere Sachen in Kartons oder Säcken hinwegzusteigen, mit der Gefahr, diese zu beschädigen, falls ihr Inhalt fragil war.

Um es kurzzufassen: Das Haus war voll. Es hatte uns jeden Zentimeter Raum zur Verfügung gestellt, aber nun ging nichts mehr. Es war kein weiterer Leerraum vorhanden, weil das Haus nun mal nur diese Fläche besaß. Nicht mehr und nicht weniger. Mir wurde bewusst, dass wir bald ein größeres Haus benötigen würden. Aber ich schwieg und dachte nur, dass meine Mutter selbst darauf kommen müsste. Sie war meine Mutter, und ich respektierte sie. Eine alte, gebrechliche Frau, die den Krieg miterlebt hatte, die an Rheuma litt, an niedrigem Blutdruck und an Schlaflosigkeit. Ich wusste, dass es nur eine Mutter im Leben gibt und dass man diese respektieren muss. Ich meine, sie war ja auch ein interessanter und edler Mensch. Es gab nichts, was sie nicht konnte: kochen, backen, basteln, Holz hacken. Einmal hatte sie sogar einen Kamin gebaut. Na gut, dann musste man halt einiges in Kauf nehmen. Dann musste man eben die Sachen auf dem Weg zum Anbau wegschieben. Dann musste man halt rückwärts oder vorwärts zum Haus fahren, um den Einkauf auszuladen.
Selbst wenn wir mal Gäste hatten und das Haus gerade wirklich ein einziges Chaos war, fand meine Mutter eine geeignete Lösung: Lass uns die Pecholts doch einfach in ein Restaurant einladen! Und so gingen wir dann mit unseren Gästen in ein Restaurant und erklärten ihnen, dass wir zu Hause einen Rohrbruch hatten – oder der Gasofen kaputt sei oder weiß der Geier was. Ins Restaurant zu gehen, hatte wiederum den Vorteil, etwas essen zu können, das wir zu Hause nie kochten: etwa Trampó oder Tumbet oder Kaninchen in Weinsoße. Außerdem ersparten wir uns so den Abwasch sowie das mühsame Wegräumen der Pfannen und Kochtöpfe, in voll beladene und ohnehin zugestopfte Regale, in die nichts mehr reinpasste.

Als meine Mutter in einem Frühsommer mit 82 Jahren plötzlich starb, hatte ich keine Zeit, um über diese Dinge nachzudenken. Erst einige Wochen danach kam mir die Aufgabe in den Sinn, die mir jetzt bevorstand: Ich musste das Haus leeren. Drei Tage lang lief ich von Zimmer zu Zimmer, ohne zu wissen, wo ich anfangen sollte. Aus diesem Grund packte ich es irgendwann einfach kopflos an und lief in den erstbesten Raum, um Kartons zu öffnen.
Die Dinge, die ich fand, bereiteten mir schlaflose Nächte. Es fand sich alles, was man sich nur vorstellen konnte, und vieles in dreifacher, zehnfacher, hundertfacher Version. So fand ich zum Beispiel einen größeren Schuhkarton mit achtundzwanzig Scheren. Eine große Holztruhe mit Weihnachtspapier und Schleifen, die meine Mutter über dreißig Jahre lang gesammelt haben musste. Eine weitere, noch viel größere Truhe enthielt so viel Weihnachtsdeko, dass man eine Kleinstadt damit hätte schmücken können. Es gab einen Karton gefüllt mit Kerzen in allen Größen und Farben. Ein Riesenkarton enthielt Reißverschlüsse, ein anderer Radiergummis oder Mal- und Bleistifte. Nicht zu vergessen: der Schlüsselkarton. Wenn jemand in unserem Dorf mal einen Schlüssel benötigt hätte, dann hätte er diesen bei uns gefunden: Schlüssel in allen Größen und Variationen, von großen alten bis zu denen, die so winzig waren, dass man sie kaum sehen konnte. Ich fand massenweise gestapelte Kleider und Stoffe und Gardinen. Eine Bekannte trug achtzehn große Müllsäcke voller Stoffe in ihren Wagen. Außerdem fand ich Wasserpumpen und vier verschiedene elektrische Bohrer. Oder Außenlampen, mit denen man ein Fußballfeld hätte hell erleuchten können. Im Wohnzimmer stand eine sehr lange Kommode, in die ich in den letzten Jahren nie reingeschaut hatte. Diesmal blieb mir nichts anderes übrig. Und mit was war sie gefüllt? Tischdecken! Weiße, hellblaue, rosa, gelbe Tischdecken. Bei fünfundsechzig gab ich das Zählen auf.
Und doch hatte alles irgendwie seine Ordnung: Fand ich eine Puppe, der ein Arm fehlte, so tauchte irgendwann mal ein Kästchen auf, welches genau diesen Arm enthielt. Oder ein anderes Kästchen mit dem Deckel eines Weckers, dem Beinchen eines Püppchens oder das kleine WC, welches in das Bad einer Puppenstube gehörte.

Das Sortieren und Entleeren des Hauses dauerte vier Monate. Stoffe, Kleidung, Vorhänge sowie einige Möbelstücke gingen an die marokkanische Gemeinschaft unseres Dorfes. Puppen, Kaffee- und Pfeffermühlen zurück an den Flohmarkt. Ich schenkte sie ein paar Flohmarkthändlern, die sich mit meiner Mutter, als diese noch lebte, gut verstanden hatten. Es war schon seltsam, wie sich das Rad drehte. Wie die Dinge, die meine Mutter irgendwann mal verkauft und später gekauft hatte, nun auf dem Flohmarkt wieder verkauft wurden.

Irgendwann war das Haus dann leer.

Man konnte im Wohnzimmer sitzen und Kaffee trinken und sich frei bewegen. So saß ich später oftmals da. Nachmittags warf die Sonne ihre letzten Strahlen durch die Fenster. Das Wohnzimmer wurde in ein warmes, goldenes Licht getaucht. Draußen hörte man die Vögel zwitschern. Und ich saß auf dem Sofa, erinnerte mich an alte Zeiten und blickte nun auf leere, kahle Wände.


__________________
Der Leser hat´s gut: Er kann sich seine Schriftsteller aussuchen.
(Kurt Tucholsky)


Version vom 19. 10. 2016 08:34

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aligaga
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Der Leser kämpft sich verzweifelt durch den endlos langen Text, hoffend, es käme irgendwann doch eine Erklärung für den ersten Satz

quote:
Meine Mutter war kein Messie, das muss ich gleich zu Beginn klarstellen.

Aber nicht nur, dass der Begriff "Messie" von der Autorin falsch gebraucht wird (ein Messie ist kein Schwein, das in seinem Kot liegt, sondern ein Mensch, der sich von nichts trennen kann) - sie weiß im Folgenden nichts anderes, als uns aufzuzählen, was Mutti so sammelt, im Lauf der Zeit. Bis der Kanal voll und Mutti (gottlob, ist man versucht, zu sagen) tot ist.

Nun ist der Umstand, dass ältere Damen und Herren zu "Sammlern" werden, nichts so Besonderes, dass man darüber noch viel zu "erzählen" hätte: eine vermüllte Wohnung gleicht der anderen, und auch die Omis und Opis haben alle das beinahe gleiche Signalement. Welcher Außenstehende fände Interesse an diesen gewöhnlichen Alten und deren Gerümpel?

Wenn man von einer fremden Omi berichtet und möchte, dass die Leser am Text bleiben, müsste in dem Müll was Besonderes sein oder die Omi was an sich haben, das Besonders wäre.

Leider ist das hier nicht der Fall. Der Leser steht mitten im Müll und kramt darin herum, findet aber nichts von Wert. Leider findet er auch keine Erklärung dafür, was Mutti wirklich dazu gebracht hat, sich ihr Häusel vollzustopfen, so wie's ihre Altersgenossinnen irgendwann immer zu tun pflegen, wenn sie niemand davon abhält.

Mit anderen Worten: Das hier ist keine Erzählung, sondern eine pure Bildbeschreibung, nota bene eine recht langweilige, denn außer dem Müll wird uns nichts gezeigt. Und die Nummer, dass Omi oder Opi noch beladener vom Flohmarkt heimkommen, als sie hingefahren sind, hat einen Bart bis in Souterrain: Echte Sammler sind immer so.

TTip: Nicht schreiben, was Omi macht, sondern warum sie einen Wertstoffhof betreibt. Und wenn die Tochter schon mit dabei sein muss: Das eine oder andere persönliche Konflikterl könnte man sich schon vorstellen. Dann käme vielleicht in bisschen Leben in die langweilige Bude. Wenn wirklich nichts passiert, gibt's nix zu erzählen.

Aber auch das ist ein alter Hut.

Heiter immer weiter

aligaga

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Vagant
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Hallo Ja Rina,

Zu Deinem Erzählen braucht man keine Worte zu verlieren. Sauber, routiniert; also sprachlich ist hier an keiner Stelle irgendetwas zu bemängeln.
Aber:

quote:
Was ist für wen nützlich? Das ist ein bisschen so, als diskutiere man über Religion oder Politik. Ich ließ es sein, auch weil ich immer im Stress war und keine Zeit hatte.
warum lässt der Text es so schnell sein? Warum geht er nicht durch die Tür die er aufgestoßen hat, und diskutiert gerade diese Dinge aus. Ich würde den Text als Vehicel dafür sehen, genau diese Fragen zu stellen, und diese dann auch zu beantworten. Das fehlt mir hier.
Aber vielleicht habe ich auch die Intention des Textes völlig missverstanden. (obwohl das Koordinatensysthem für den Text im ersten Satz ja festgelegt zu sein scheint – 'meine Mutter war kein Messie' nagelt mich auf das Thema fest) Vielleicht geht es ja hier auch mehr um eine Sprachlosigkeit, um ein gestörtes Mutter-Tochter-Verhältnis – du siehst, ich bin mir bei der Einordnung der Erzählung noch gar nicht so sicher.
Ab dem 5ten Absatz nimmt die Erzählung dann wieder ein bisschen Fahrt auf. Hier gehst du dann mal kurz in die Szene. Ich gestehe, dass mir bis dahin schon ein bisschen die Luft ausgegangen war. Das muss dich aber nicht beunruhigen, denn gehöre nicht zu den ausgewiesen Freunden der wortreichen Erzählung ;-).
Am Ende muss ich sagen, dass mir hier etwas zu viel erzählt wurde, dass ich mir da irgendwie etwas mehr Rhythmus, eine gelegentlich eingeworfene Szene, vielleicht auch etwas mehr Innenansicht und weniger Oberfläche gewünscht hätte.
Vielleicht muss ich es auch einfach nur nochmal lesen.
LG Vagant.

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ThomasQu
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Hallo Jirina,

ich finde “Sachen“ schon etwas anrührend, eine Beschreibung einer etwas verschrobenen Persönlichkeit, mit der das Zusammenleben nicht immer leicht ist.
Du denkst dir vielleicht selber, dass das jetzt von mir kommt: Ein wenig zu ausufernd beschrieben!
Der erste Absatz ist eine einzige Erklärung, den würde ich ersatzlos streichen. Ohne den kann sich der Leser selber ein Bild von der Mutter machen, ohne dass sich die Frage “Messie oder nicht“ überhaupt stellt und mit dem zweiten Absatz hättest du einen sehr schönen Einstieg in den Text.
Auch im Anschluss solltest du noch einiges wegkürzen, dann wäre die Geschichte griffiger. Einige Passagen sind wirklich sehr ausführlich geraten.
Gefallen hat mir “Sachen“ trotzdem.

Schade, dass du “Frau mit Koffer“ gelöscht hast, den Text fand ich richtig gut.

Gruß, Thomas

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aligaga
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Dass wir hier wirklich nicht mehr als eine - nota bene recht oberflächliche - "Stoffsammlung" vor uns haben statt einer Erzählung, in der sich etwas bewegte, wird deutlich, wenn man in jenen Erzählungen blättert, die's zu diesem Genre, wie ja schon gesagt, massenhaft gibt.

Vor ein paar Jahren war Walls "Schloss aus Glas" in aller Frauenmunde (allein in Deutschland wurde es eine halbe Million mal verkauft) und erlangte einen zweiten Popularitätsschub, als die SchrriftstellerIn bekannt machte, ihre vermüllte Mutter bei sich aufgenommen zu haben.

Im "Schloss aus Glas", einem biografischen Roman, geht's natürlich nicht nur um das permanente Anfangen und wieder Liegenlassenmüssen, unter dem Mami leidet, sondern um mehr, denn es ist ja ein dicker Roman geworden. Es hat viele Zimmer! Aber der Raum, der dem Messie-Syndrom der Mutter gewidmet ist, zeigt uns sehr schön, wie man diese "Störung" als Tochter wahrnehmen kann, was sie bedeutet und wie man damit (nicht) zurechtkommt.

Eine Erzählung muss fesseln, sonst bleibt sie im Bücherregal stecken. Zu beschreiben, wie ein Geschoß aussieht, das aus einem Gewehrlauf kommt, interessiert niemanden wirklich. Spannend ist, was das Teil - wenn es denn trifft! - auf seinem Weg durch das menschliche Gewebe anrichtet.

So muss Literatur. Sonst bleibt's, wie hier, bloß langfaseriges Pillepalle.

Heiter

aligaga

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He de Be
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"in aller Frauenmunde"? Geht's noch, aligaga, oder wird's jetzt noch hilariöser?

Ich finde Ji Rinas Erzählung ganz schön, ein bisschen wehmütig, ein bisschen dem Leben so abgetrotzt, dass es ein bisschen weh tut.

Das Haus ist leer, die Sachen sind weg. Aber die Hauptsache, Mutters Erinnerung, haust ja immer noch hinter den leeren Wänden.

Das macht daraus eine gute Geschichte.

Was das Messi-sein angeht, kann man es so sehen:
Die Tochter stellt klar, dass Mutter kein Messie war, auch wenn sie am so genannten Syndrom mehr oder weniger litt – zu wieviel Prozent oder Grad muss man in einer Erzählung nicht wortwörtlich erklären.
Dann geht es um die Frage des reinen Seins.

Man kann es auch als Verneinung sehen, etwa so, wie die Icherzählerin die Leere des Hauses anschließend widerlegt:

quote:
"Irgendwann war das Haus dann leer."
heißt es.

Kurz darauf erzählt sie, dass sie oftmals in seinem Wohnzimmer sitzt. Auch ein Sofa findet Erwähnung sowie Kaffee, dessen zugehörige Behälter man sich ebenso ausmalen kann wie die Tatsache, dass das alles sich in dem "leeren" Haus befindet, und nicht draußen. Ganz oder richtig leer ist also das Haus auch nicht. Wieso auch?

Hauptsache, der Leser kann sich ein Bild machen, vielleicht sogar mehrere, dann läuft's. Hier bleibt am Ende eines stehen: Das der Tochter, die nun in dem von « Sachen » und Mutter befreiten oder entleerten Wohnzimmer im goldenen Licht sitzt und Vögel zwitschern hört. Manch Leser hört die Freudigall dann trappsen.

Respekt.

P.s.
Selbstverständlich hätte man noch mehr - oder noch weniger - oder auch nicht - aber alles in allem: Muss man das? Mir zum Beispiel hat der Strichmund so gut gefallen, dass ich sie am liebsten "Strichmunde" genannt und damit dann dem Spuk gleich ein Ende gemacht hätte, aber muss man das? Und was mit den Sachen? ... nicht mal St King macht so was, wieso auch.

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FrankK
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Hallo, Ciconia
Wie versprochen (oder angedroht ) hier eine etwas detailliertere Beschäftigung mit Deinem Text:

Einordung
Du hast diesen Text als „Erzählung“ einsortiert, das finde ich in Ordnung. Er ist (inhaltsthematisch) umfangreicher als eine Kurzgeschichte, Du „erzählst“ eine vollständige Epoche aus dem Lebensraum der Mutter (hier: die Epoche „Zeit des Sammelns“), mit Einstieg, Höhepunkt und Abschluss.
Im Forentext heißt es:

quote:
Was hier an so genannten „Erzählungen“ auftaucht, sind meist Kurzgeschichten, die dem Autor selbst wohl ein wenig zu lang geraten erscheinen, um unter dieser Rubrik eingestellt zu werden. Hier werde ich aber nach wie vor recht großzügig verfahren.

Bleibt also zu hoffen, dass unser geschätzter Redakteur Dir gewogen bleibt .


Erzählstil:
Non-Auktoriale (nicht allwissende) Ich-Perspektive, wirkt (in dieser Form) wie eine Selbstbeschreibung und dadurch eindringlicher, emotional betonter. Ob diese eine reale oder fiktive Erzählung darstellt, ist für die Qualität belanglos.
Wichtig für die überzeugende Darstellung ist die konstante Einhaltung der Erzählperspektive, dies ist Dir (leider) misslungen. An einer einzigen Stelle.


Details:
quote:
Meine Mutter war kein Messie, das muss ich gleich zu Beginn klarstellen.

Im Verlauf der Geschichte wird deutlich, dass diese „festgemauerte Erkenntnis“ gar nicht so festgemauert ist. Es wurde nie psychologisch geprüft, ob es sich nicht doch um das sogenannte „Messie-Syndrom“ handelt.
Dieser Einstieg ist auch das winzige Problem bezüglich der Erzählperspektive, wenn sich die Erzählerin nicht selbst als Psychologin erweist, ist dieser Einstieg zu auktorial. Gleichzeitig emotional distanzierend und sich schützend vor die Mutter stellend.
Für mich als Leser wird eine zusätzliche Interpretation unterdrückt. Es wird klar gesagt (klar definiert / konkretisiert): kein Messie. Eine mögliche Fehlinterpretation der Erzählerin wird dadurch ausgeklammert.
Was hieltest Du von einer Modifizierung des Einstiegs, emotional näher am Geschehen, angepasst an die folgende konstante Non-Auktoriale (nicht allwissende) Ich-Perspektive:
„Ich hielt meine Mutter nie für eine Messie, das muss ich gleich zu Beginn klarstellen.“

quote:
Sie war keiner dieser Menschen, in deren Wohnungen man Bananenschalen unter der Matratze oder alte Zeitungen im Gefrierschrank findet.

Dieser Satz bedient (meines Erachtens) nur eine falsche Vorstellung. Für mein Empfinden könnte er Ersatzlos verschwinden, zumal Du auch später viel eindringlicher erzählst, wie es um die Mutter bestellt ist.

quote:
So vergingen die Jahre. Vor unserem Hauseingang häuften sich Holzplatten in allen Größen an. Blumentöpfe (leere) standen dutzendweise herum. Mehrere alte Fahrräder, Kinderautos aus Plastik, kaputte Bilderrahmen, die irgendwann repariert werden sollten, füllten den Garten. Wenn ich mit dem Wagen bis vors Haus wollte, weil ich vielleicht einen größeren Einkauf im Supermarkt gemacht hatte, konnte ich nur noch vorwärts oder rückwärts fahren. Ein Wenden war nicht mehr möglich, wenn ich nicht über sämtliche Sachen fahren wollte.

An diesem (kompletten) Abschnitt habe ich das Gefühl, da warst Du nicht gut drauf, irgendwie aus dem Fluss. Er wirkt vom Klang nicht so harmonisch wie der Rest des Textes, er wirkt wie „hinzu gebastelt“.
Auffällig störend wirkt auf mich der Einschub in Klammern, anstatt das „leere“ nachträglich zu definieren, könnte es eine vorangestellte Eigenschaft sein:
„Leere Blumentöpfe standen …“
Das Problem mit dem Auto – ist in dieser Form eigentlich keines. Viele Hauszufahrten kann man nur Vorwärts oder Rückwärts nutzen, mit den ganzen „Sachen“ käme ein zu „umfahrender Parcours“ möglicherweise der darzustellenden Situation näher.


Ganz leicht Füllwortlastig:
Kleine Statistik gefällig?
Das Wörtchen „oder“ kommt 26 mal vor.
Das Wörtchen „so“ kommt 19 mal vor.
Das Wörtchen „dann“ kommt 18 mal vor.
Das Wörtchen „mal“ kommt 16 mal vor.
Das Wörtchen „wenn“ kommt 15 mal vor.

Von gesamt 3225 Worten sind 322 sogenannte Füllwörter (9.98%). Sie sind Bestandteil der gelebten gesprochenen Sprache. Für diesen Erzählstil vielleicht noch angemessen, an manchen Stellen aber vielleicht auch überlegenswert.


Messie-Syndrom
Es bedarf nicht des „Endstadiums“, in denen der fortgeschrittene Messie in seinen eigenen Exkrementen liegt, dies ist Halbwissen.
Das „Messie-Syndrom“ beginnt bereits deutlich eher, wenn der betroffene Mensch nicht mehr differenzieren kann, zwischen dem, was noch nützlich ist und dem, was er nicht mehr gebrauchen kann.


Fazit:
In einer Rückblende, einer Retrospektive, wird uns die Geschichte des mehr oder weniger sinnvoll gestalteten Lebensabends einer Mutter näher gebracht, einer Person, die sich mit dem „kleinen Wirtschaftskreislauf“ auf Flohmärkten und der dort vorherrschenden eigenen Welt auseinandersetzt. (Floh)Markthändler sind eine ganz eigene Klientel. Dieser Aspekt wird in den resümierenden Überlegungen der Tochter ganz kurz angerissen.
Deutlich wurde nur, dass die Tochter nicht glücklich mit dem Verhalten der Mutter war, dass die Tochter diese „Obsession“ der Mutter nicht nur nicht teilte, sondern auch nicht billigte. Die Mutter hatte Grenzen überschritten, wurde allerdings von der Tochter dafür nicht gemaßregelt oder sogar bloßgestellt. Dies manifestiert sich mit dem ersten Satz (auch in der modifizierten Variante).

Für meinen Geschmack gut getroffen:
Das kritische Verhältnis der Tochter zur Mutter.
Das Grenzverhalten der Mutter (eine gewisse Verhaltenslogik lässt sich noch erkennen).
Die zum Ende angedeutet wehmütige Betrachtung der Tochter.

Mit dem Titel „Sachen“ definierst Du schon recht geschickt gleich zu Anfang, dass es sich halt nicht um Müll handelt.


Anmerkung:
Ich versuche mir gerade vorzustellen, wie diese Geschichte wirken würde, wenn Du dem Leser zunächst zugestehst, seine eigene Meinung zu bilden, und erst ganz am Schluss die Tochter mit „Nur um es klarzustellen – ich habe meine Mutter nie für eine Messie gehalten!“ eine Wertung aussprechen zu lassen.
Die Geschichte könnte dann mit
quote:
Meine Mutter besaß ein großes, ordentliches Wohnzimmer, wo alles seinen Platz hatte.

starten und würde den Leser (möglicherweise) langsam in die Situation einführen, wie sich die ganze Situation auch langsam entwickelt.
Diese Erzählweise käme auch dem einer „Erzählung“ am nächsten.


Einen schönen Abend noch und herzliche, aufmunternde Grüße
Frank

__________________
Leben und leben lassen.

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