Print This Page

Der springende Punkt

- Wach werden und glücklich sein -
220 Seiten, unterteilt in 55 Kapitel von 2 bis 5 Seiten
Herder 2002, 9,90 Euro, ISBN 3-451-27918-5

De Mello zeigt, wo unsere Hindernisse, ein glückliches Leben zu führen, liegen. Es ist ein Buch, das negativen Eindrücken und Erwartungen die Kraft nimmt. Es zeigt, wie man ohne viel Aufwand die eigene Zufriedenheit steigern kann. Viele Anregungen sich selbst zu finden und in der eigenen Mitte zu leben.

Einige Kapitelüberschriften:
Bewusstheit, ohne alles zu bewerten - Die Illusion der Belohnungen - Die Welt ist schon in Ordnung - Sich an Illusionen klammern - Liebe, die süchtig macht - Nichts erzwingen - Die Kontrolle verlieren - ...

Leseprobe

aus dem Kapitel: Liebe, die süchtig macht

...

Jemand wirft angewidert ein Buch auf den Tisch. Lassen Sie es ihn ruhig auf den Tisch werfen. Heben Sie das Buch nicht für ihn auf und sagen Sie ihm, es sei schon alles in Ordnung. Spiritualität ist Bewusstheit, Bewusstheit, und nocheinmal Bewusstheit. Wenn sich früher Ihre Mutter über Sie ärgerte, sagte sie nicht, dass etwas mit ihr nicht stimmte, vielmehr sagte sie, dass etwas mit Ihnen nicht stimmte, sonst würde sie sich ja nicht über Sie ärgern. Also, ich habe die große Entdeckung gemacht, dass, wenn du dich ärgerst, Mutter, etwas mit dir nicht stimmt. Deshalb solltest du dich besser mit deinem Ärger befassen. Verweile bei ihm, und befasse dich mit ihm, es ist nicht mein Ärger. Ob etwas mit mir stimmt oder nicht stimmt, werde ich unabhängig von deinem Ärger herausfinden. Ich werde mich nicht von deinem Ärger beeinflussen lassen.

Das Witzige dabei ist, dass wenn ich mich so verhalten kann, ohne jemand anderem gegenüber negative Gefühle zu entwickeln, ich auch mir selbst gegenüber recht objektiv sein kann. Nur ein Mensch mit viel Bewusstheit kann sich weigern, die Schuld und den Ärger auf sich zu beziehen, und kann sagen: "Du hast einen Wutanfall. Zu schade. Ich verspüre nicht den leisesten Wunsch, dich irgendwie zu retten, und ich weigere mich, mich schuldig zu fühlen." Ich werde mich nicht selbst für etwas hassen, was ich getan habe. Denn das ist Schuld. Ich werde mir nicht selbst ein schlechtes Gefühl bereiten und mich selbst für etwas geißeln, was ich getan habe, sei es nun richtig oder falsch. Ich bin bereit, es zu analysieren, es zu beobachten und zu sagen: "Falls ich etwas falsch gemacht habe, geschah dies in Nicht-Bewusstheit."

Niemand macht etwas in voller Bewusstheit falsch. Deswegen sagen uns die Theologen auch sehr treffend, dass Jesus nichts falsch machen konnte. Das leuchtet mir sehr gut ein, denn der erleuchtete Mensch kann nichts falsch machen. Der Erleuchtete ist frei. Jesus war frei, und weil er frei war, konnte er nichts falsch machen. Weil Sie jedoch etwas falsch machen können, sind Sie nicht frei.

Silbereule, 21.10.2003


Mmmmmmmmh.
Bei dieser Art Buch gehen bei mir immer die Alarmglocken an.
"Haken Sie Punkt 1 - 7 auf der Liste ab und Sie werden garantiert glücklich sein!!!" < Das ist ein Rezept, dass quasi nie wirklich aufgeht. Jeden Menschen macht etwas anderes glücklich. Und unglücklich.

Gerade das Beispiel in der Leseprobe. Mag sein, dass es für einen Erwachsenen gut ist zu verstehen, dass er sich über den Ärger seiner Mutter in seiner Kindheit nicht mehr zu grämen braucht. Aber was, wenn seine Mutter sich niemals über ihn geärgert hätte?
Wenn ich mich lautstark über meine Kinder ärgere, dann zeige ich ihnen meine Gefühle. Und ihre Grenzen. Wenn meine zwei Süßen die Aufsichtslücke nutzen, dass Muttern kochend am Herd steht und alle Fläschchen und Tiegelchen aus dem Badezimmer entführen, um mal zu testen welche Farbe eine Mischung aus Shampoo, drei verschiedenen Seifen, Haarkur, Mundspülung und Erkältungsbad + die Hautcreme als Sahnehäubchen so annimmt...
Klar könnte ich sagen: Ach, ihr lieben Kinder, jetzt habt ihr viel über die Beschaffenheit von Seife gelernt und ich werde für 300 Euro höhere Badezimmerschränke kaufen, damit ihr nicht mehr in Versuchung geführt werdet...
Dann hab ich zwar extrem gelassen reagiert und meinen Kindern gezeigt, die Welt ist in Ordnung. Aber sie haben nicht gelernt, dass sie eine Grenze überschritten haben. Sie haben nicht den Frust erlebt, einen Fehler gemacht zu haben und dabei erwischt worden zu sein.
Der Mensch lernt nicht in Utopia, der Garten Eden läßt ihn nicht reifen.
Ein solches Buch darf nur Gedankenanstöße liefern "ärger dich nicht über jede Kleinigkeit, die Energie kann man durchaus sinnvoller nutzen".
Und jetzt hab ich dreimal soviel geschrieben wie ich wollte...

aleanjre, 23.10.2003


Hallo Aleanjre,

danke für deine Kritik.

Ich bin auch immer kritisch, wenn mir jemand die große Weisheit verkaufen will. Mit wenn-dann-Versprechungen will ich auch nichts zu tun haben. Und ich glaube, de Mello beabsichtigte auch nicht auf solche Art eine Verglücklichung der Menschheit herbeizuführen. Er liefert vielmehr Denkanstöße.

So wie ich de Mello verstehe, ist, viele Dinge nicht zu ernst zu nehmen, uns nicht in Angelegenheiten anderer einzumischen (und das womöglich noch mit dem Hintergedanken, deren Sachen in Ordnung zu bringen). Ich denke, er will uns sagen, dass wir uns auf uns selbst konzentrieren sollen, auf unsere Mitte, auf das was wir sind und nicht auf unendlich viele Belanglosigkeiten.

Aber dazu gehören auch Grenzen/Grenzwerte. Denke, dein Beispiel verdeutlicht, dass manchmal Grenzen überschritten werden, und man wäre nicht man selbst, wenn man dann nicht mal aus der Haut fährt. Wenn mein Sohn auf Socken durch den Garten läuft, freue ich mich, dass er eine neue (harmlose) Erfahrung machen will. Bei der nächsten Runde, mit frischen Socken, weise ich ihn darauf hin, dass sein Sockenvorrat begrenzt ist und ich nicht bereit bin die Waschmaschine nur für seine Socken anzustellen. Bei der nächsten Runde, wiederum mit frischen Socken, werde ich dann auch laut ...

Das Beispiel der Leseprobe hatte ich gewählt, da ich gerade Kontakt zu jemandem habe, der massiv unter seiner dominierenden Mutter leidet und der sich jede Auseinandersetzung stark zu Herzen nimmt. Das Beispiel läßt sich aber auch auf "Chef" oder andere Konstellationen übertragen.

Dein Hinweis "der Garten Eden läßt ihn nicht reifen" klingt richtig, ich habe den Gedanken aber noch nicht zuende gedacht. Paradies habe ich in diesem Zusammenhang noch nicht gesehen, andererseits wünschen sich viele (ich doch auch) paradiesische Zustände, wobei de Mello vllt einige Wegweiserschilder bereithält.

Silbereule, 23.10.2003