Print This Page

Tochter des Windes

„Rhapsody“, gerade erschienene deutschsprachige Ausgabe des ersten Romans einer Fantasy-Trilogie, Heyne Verlag

Das Inselreich Serendair erlebt eine Zeit ungeahnter Blüte. Noch ahnt niemand, dass dem Eiland die vollständige Vernichtung droht – auch nicht die junge Sängerin und Heilerin Rhapsody, die soeben ihre Ausbildung abgeschlossen hat und ein großes magisches Talent in sich birgt. Doch urplötzlich holt Rhapsody ihre freudlose Vergangenheit ein, und sie ist gezwungen zu fliehen. Bald trifft sie auf zwei unheimliche Gestalten, Achmed und Grunthor, die ihr das Leben retten. Rhapsody ahnt jedoch nicht, dass die beiden von Dämonen des Herrn der Tausend Augen verfolgt werden, einem gespenstischen Feuerwesen aus dem Anbeginn der Zeit, dessen einziges Ziel es ist, die Welt in Schutt und Asche zu legen. Rhapsody und ihre Begleiter suchen Schutz bei der heiligen Eiche Sagia und bahnen sich einen Fluchtweg entlang ihrer mächtigen Wurzeln, die tief ins Erdinnere reichen und die bekannte Welt umspannen. Tatsächlich gelingt es ihnen, ihren Verfolgern zu entkommen, doch der Preis ist hoch, und die Prüfungen, die ihnen auf dem Weg auferlegt werden, voller Härte.

Als sie endlich – fern der Heimat und in einem anderen Zeitalter – ans Tageslicht zurückkehren, ist Serendair langst in den Fluten versunken. Die neue Welt wird indes von einer Woge der Gewalt heimgesucht, und in Achmed keimt ein schrecklicher Verdacht.

Ein faszinierendes Fantasybuch, das von der ersten Seite an fesselt und so gut wie keine langweilige Stelle hat. Die Bilder, die Elizabeth Haydon zeichnet, verfolgen einen noch nachdem man das Buch zur Seite gelegt hat (was allerdings nur aufgrund äußerer Umstände wie Essenkochen, Schlafenszeit etc. der Fall ist, denn eigentlich möchte man das Buch in einem durchlesen).

Dies ist das erste Buch einer Trilogie, entsprechend weist das Ende auf weitere Abenteuer hin und lässt den Leser neugierig und begierig auf mehr zurück. Da die zwei weiteren Bände momentan wohl nur im Original erhältlich sind, werde ich wohl mein Englisch wieder etwas auffrischen. Denn warten, bis die deutsche Übersetzung da ist, mag man nicht

Hier einige Leseproben:

quote:


Der Bruder schlüpfte durch böige Windstöße und vermied es so gut er konnte, die Schwingungen der Welt zu stören, die außer ihm nur ganz wenige wahrzunehmen vermochten. Er hatte es mit Gegnern zu tun, die sehr ernst zu nehmen waren; seine ehemaligen Herren scheuten keine Kosten, ihn zur Strecke zu bringen. Damit hatte der Bruder gerechnet.

Er ging auf ein Knie nieder und legte die Waffe an. Unter seinen Masken machte sich ein düsteres Grinsen breit. Seine Ziele waren in Reichweite.

Noch konnte er sie nicht erkennen, aber das brauchte er auch nicht. Er spürte ihre Schritte und das Schlagen ihrer Herzen. Wie eine Muräne im Meer konnte er ihr Blut riechen und nahm jede ihrer Bewegungen wahr. Dass er mit so scharfen Sinnen ausgestattet war, verdankte er seinem dhrakischen Einschlag; dabei hatte er ein noch feineres Gespür als reinrassige Dhrakier. Er war der Bruder. Das war seine besondere Gabe.

Er schloss die Augen und gewahrte die Bewegungen in der Luft, den Wechsel der Windrichtung, die Strömungen, die seine Geschosse würden ablenken können. Dann atmete er langsam aus und drückte den Abzug seiner Waffe.

Von der Armbrust mit ihren drei Fuß langen Wurfarmen flogen nicht etwa Bolzen oder Pfeil, sondern drei hauchdünne Metallplättchen, ein jedes in Form und Größe einem Ahornblatt ähnlich. Sie zischten durch die Luft und änderten, vom Wind abgelenkt, ein wenig die Richtung, was der Schütze jedoch einkalkuliert hatte. Noch bevor die Geschosse ihr Ziel erreichten, hatte der Bruder seine Waffe neu geladen und abgedrückt, wieder und wieder, sodass ein dichter Schwarm von Projektilen auf seine vierhundert Schritt entfernten Widersacher zu schwirrte.



quote:


Die Sonne ging unter, als die drei Reisenden, nachdem sie einen zunehmend dichter gewachsenen Grüngürtel durchquert hatten, den eigentlichen Wald erreichten. Sie warteten, bis es Nacht geworden war, ehe sie weitergingen, ständig auf der Hut vor den Augen, die im Dunkeln funkelten.

Unterdessen wurde Rhapsody nicht müde, im Flüsterton das Namenlied des Waldes zu singen, immer und immer wieder: Yliessan, Yliessan, Yliessan. Ihr war es, als teilte sich das Dickicht wie zur Antwort, als trachtete alles Gesträuch danach, den dreien den Weg zu ebnen.

In allen Geräuschen ringsum, im Blättersäuseln und den Lauten der Tiere, vernahm sie einen Gruß: Yliessan. Der Wald hieß sie willkommen.

Die Luft war voll von bislang ungeahnten Düften. Rhapsody labte sich daran, füllte ihre Lungen und spürte, dass sie weiter wurden und ihr Atem frischer. Sie bedauerte, dass es schon dunkel war, denn allzu gern hätte sie den Wald in seiner ganzen Pracht bei Tageslicht gesehen. Er war zwar nur für die Lirin ein heiliger Ort und nur sie kannten seinen Namen, doch erzählte man sich auch im weit entfernten Ostend Geschichten über den Zauberwald und seinen Großen Baum.



quote:


Der Wurzelstollen wurde enger und enger, und Grunthor musste sich immer tiefer ducken, bis er schließlich nur noch kriechend vorankam. Doch dann öffnete sich der Gang in einen weiten Raum, in den von hoch oben sogar ein wenig Licht fiel. Rhapsodys Herz machte einen Freudensprung. Die Oberfläche schien nicht mehr fern zu sein.

Sie trat in den weiten Raum und richtete sich auf. Was sie sah, benahm ihr den Atem.

Vor ihr ragte ein riesiger, knollenartiger Turm auf, von dem dünne Seitentriebe abzweigten, die lang und schlaff herabhingen. Im Vergleich dazu war der Wurzelstock, an dem sie in die Tiefe geklettert waren, nichts weiter als ein Ableger.

Die Augen vermochten ihr nicht zu folgen, so hoch türmte sich die Wurzel in dem weiten Schacht auf. War der Gang, durch den sie abgestiegen waren, noch vollkommen dunkel gewesen, schimmerte hier ein schwacher roter Schein, der weniger Licht denn Wärme ausstrahlte. Andere waagerechte Stollen gab es keine; zu sehen war nur ein weiterer Abgrund, aus dem diese neue Wurzel aufstieg.

Die Enttäuschung darüber, nun doch nicht, wie erhofft, dicht unter der Oberfläche zu sein, machte ängstlicher Verwunderung Platz. „Himmel, was ist das?“, dachte Rhapsody laut.



Lector, 05.01.2003