50 Engel für die Seele
157 Seiten, 8,80 Euro (Paperback)
Herder Spektrum, Freiburg 2002
ISBN 3-451-05277-6
Wellness für die Seele 
"Die Seele, das ist die Lebenskraft und Lebendigkeit des Menschen. Engel sind es, die uns mit diesem besonderen Raum der Seele in Berührung bringen. Sie inspirieren den Alltag, sie beflügeln uns und zeigen, was unserer Seele gut tut. ... die Ermutigung, unserer Seele neuen Raum zu geben." (aus dem Rückseiten-Text)
Anselm Grün lädt uns ein, 50 Engel kennenzulernen: Engel des Friedens, der Gerechtigkeit, der Lebenslust, der Freundschaft, der Ausgeglichenheit, der Inspiration, des Lichts , ...
Die einzelnen Kapitel von 2 bis 4 Seiten gliedern sich wie fogt: 
- eine kurze Einführung zu der Eigenschaft die der jeweilige Engel repräsentiert
- der Bezug zu uns, unserem damit verbundenem Verhalten
- die Entwicklungsmöglichkeiten, die wir haben, bzw die Bereicherung, die uns der entsprechende Engel gewähren kann 
- ein Wunschgebet zum Öffnen für und Einlassen des entsprechenden Engels
Und weil die Texte so schön sind stell ich hier mal 2 Engel in die Lese-Ecke 
Der Engel der Ruhe
Nach Ruhe sehnen wir uns alle. Aber sobald wir einmal Zeit haben, auszuruhen, spüren wir, dass sich nicht automatisch Ruhe einstellt. Im Gegenteil die äußere Ruhe macht uns innerlich unruhig. Da tauchen viele Gedanken auf, die wir sonst verdrängen. Da denken wir an die Abeitskollegin, die uns gekränkt hat. Da taucht der Chef in unserer Vorstellung auf als einer, der uns ständig klein machen möchte. Da kommt die Enttäuschung über all das ungelebte Leben in uns hoch. Da nagen Schuldgefühle an unserem inneren Frieden. Wir grübeln und kommen mit unseren Gedanken einfach nicht zur Ruhe.
Da brauchen wir den Engel der Ruhe, der uns ausruhen läßt. Er gibt uns das Gefühl, dass wir die vielen Probleme, die uns beschäftigen, jetzt nicht zu lösen brauchen. Er steht bei uns, wenn wir uns mit Schuldgefühlen zerfleischen. Er sagt uns: "Es ist gut so, wie es ist. Ich stehe zu Dir. Ich bin trotz aller deiner Fehler doch Dein Engel, der Dich nicht verlässt." Der Engel der Ruhe tröstet uns, wenn die Enttäuschung über unser vertanes Leben über uns kommt. Er lädt uns ein, alles zu lassen, wie es ist. Und im Schatten seiner Flügel können wir zur Ruhe kommen. Da verfolgt uns der Schatten nicht mehr, vor dem wir so rastlos davongelaufen sind. Der Engel deckt mit dem Schatten seiner Flügel unseren Schatten zu. Auch unser Schatten darf sein. Es lohnt sich nicht, vor ihm zu fliehen.
Ruhe war für die Griechen etwas Heiliges. Sie sprechen von der "anapausis" von der Unterbrechung des Alltags, von der Ruhe und vom Ruheplatz. Die Pause, die wir uns nehmen, unterbricht die Hektik der Arbeit, damit wir uns ausruhen und erholen können. Die Ruhe ist für die Griechen aber nicht reines Nichtstun, sondern mühelose Tätigkeit und schöpferisches Tun. Die Lateiner preisen die Ruhe als Muße (=otium). Ruhe ist nicht nur Unterbrechung des Lebens, nicht nur Pause, sondern eine eigene Lebensqualität, die Qualität der Muße, der absoluten Bejahung des Seins. In der Muße genieße ich das Leben, nehme ich wahr, was um mich herum ist, freue ich mich an der Schöpfung, an der Kunst, an mir selber und an der Gemeinschaft. In der Muße bin ich ganz bei mir, lebe ich aus meiner Mitte heraus.
Der Engel der Ruhe möchte Dich nicht nur an Rastplätze führen, damit Du Dein Leben unterbrichst. Er möchte Dir vielmehr innere Ruhe schenken, damit Du aus Deiner Mitte heraus lebst. Wenn Du in Deiner Mitte daheim bist und dort ruhst, dann kannst Du viel tun, ohne dass Du Dich hetzen musst. Das deutsche Wort "hetzen" kommt von "hassen". Wer ständig gehetzt ist, der hasst sich selbst. Der Engel der Ruhe möchte Dich davor bewahren, Dich zu hassen. Du kannst nur Ruhe finden, wenn du dich liebst, wenn du dich so, wie Du bist, bejahst. Die wahre Kunst des Lebens besteht darin, mitten im Trubel innerlich ruhig zu bleiben, die Mitte als den ruhenden Pol in uns nicht zu verlieren. Der Hebräerbrief spricht davon, dass wir in die Sabbatruhe Gottes eingehen dürfen. Das ist das Ziel unseres Lebens. Aber schon jetzt, mitten in der unruhigen und stürmischen Fahrt unseres Lebens, haben wir den Anker unserer Seele in Gottes Ruhe befestigt. Der Anker unserer Seele verschafft uns Ruhe, auch wenn um uns herum alles drunter und drüber geht.
Ich wünsche Dir, dass der Engel der Ruhe immer bei Dir ist, dass er Dich ausruhen lässt, wenn Du wieder einmal in Hektik geraten bist. Aber Du musst selbst Rast einlegen auf den vielen Wegstrecken Deines Alltags, damit der Engel Dich in die innere Ruhe führen kann. Wenn du dich so in die Hetze treibst, dass Du den Engel der Ruhe neben Dir übersiehst, dann hat er auch keine Chance. Deine Seele wird zur Ruhe kommen, wenn Du mit Dir selbst gut umgehst, wenn Du aufhörst, Dich selbst zu verurteilen, wenn Du mit einem gütigen und milden Auge auf Dich und Deine aufgewühlte Seele schaust. Und Du brauchst den Mut, hinabzusteigen in die dunklen Abgründe Deiner Seele. Wenn Du auch dort das Licht von Gottes Liebe findest, dann hast Du es nicht mehr nötig, vor Dir selbst davonzulaufen. Dann kannst Du bei Dir bleiben und die Ruhe genießen. Der Engel der Ruhe wird Dir dann bestätigen: "Lasse Dich los. Du darfst so sein, wie Du bist. Ruhe Dich erst einmal aus. Dann kannst Du wieder ein Stück des Weges gehen, den Du Dir vorgenommen hast. Aber jetzt genieße die Ruhe. In ihr kommst Du mit Dir in Einklang. Wenn Du mit Dir im Einklang bist, dann bringt Dich nichts mehr aus der Ruhe."
Der Engel des Glaubens
Um den Engel des Glaubens zu verstehen, ist es hilfreich, die verschiedenen Sprachen zu befragen. Jede Sprache drückt in einem Wort eine Erfahrung aus. Das deutsche Wort "glauben" kommt von der Wurzel "liob" und heißt eigentlich: "für lieb halten, gutheißen, das Gute sehen". Glauben ist also eine ganz bestimmte Sicht der Wirklichkeit. Ich sehe bewusst das Gute in der Welt und in den Menschen. Das lateinische Wort "credere" und das griechische Wort "pisteuein" beziehen sich mehr auf das religiöse Verhalten zu Gott. "Credere" und "pisteuein" haben jeweils zwei Bedeutungen: "für wahr halten und trauen, vertrauen". Für die Griechen hängt der Glaube eng zusammen mit dem Urvertrauen in die Welt. Glauben heißt, dass ich diese Welt in Gottes guter Hand weiß und darauf vertraue, dass auch mit meinem Leben alles gut wird. Und glauben ist für die Griechen ein religiöser Akt. Er hat mit der Beziehung zu Gott zu tun. Dabei geht es aber nicht darum, ob ich jetzt an Gott glaube oder nicht, ob ich den Argumenten für eine Existenz Gottes glaube oder nicht. Glaube ist vielmehr nach einem Wort des evangelischen Theologen Paul Tillich "das Ergriffensein von dem, was uns unbedingt angeht". Ohne diesen Glauben, so meint Ladislaus Boros, gibt es kein echtes Menschsein. Dieser Glaube nimmt unsere ganze Seele in Anspruch. Im Glauben fassen wir unsere ganze Person zusammen und lassen uns in Gott hinein los, in den eigentlichen Urgrund dieser Welt.
Das hebräische Wort für "glauben" meint ein Feststehen, Festigkeit, Gewissheit. Der Hebräerbrief hat das jüdische Verständnis des Glaubens aufgegriffen in seiner Definition: "Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht" (Hebr 11,1). Glaube meint ein Verankertsein der Seele in der unsichtbaren Welt, die jenseits jeglicher Beweisbarkeit liegt. Für den Apostel Paulus gehört der Glaube entscheidend zum Menschsein. Glaube steht für ihn vor allem im Gegensatz zur eigenen Leistung. Wer glaubt, so meint Paulus, der macht sich fest in Jesus Christus und findet dort seinen wahren Wert. Er muss diesen Wert nicht mehr durch eigene Leistung beweisen. Glaube ist für ihn eine neue Weise zu leben. Es ist ein Leben aus dem Vertrauen auf Gott, vor dem ich so sein darf, wie ich bin, der mir meinen wahren Wert schenkt.
Im Johannesevangelium begegnet uns ein anderes Verständnis von Glauben. Da wird uns im Glauben die eigentliche Wirklichkeit enthüllt. Wir erkennen das Hintergründige, die jenseitige Welt, die Welt Gottes, die in Jesus Christus in unsere Welt eingedrungen ist. Glaube ist Erkennen, "gnosis", wie die Griechen sagen. Johannes antwortet mit seinem Glaubensbegriff auf die Sehnsucht der Gnosis. Gnosis war eine breite Strömung am Ende des 1. Jahrhunderts, ähnlich unserer New-Age-Bewegung. Sie sehnte sich nach Erleuchtung. Der Schleier, der über allem liegt, möge endlich weggezogen werden, damit wir durchblicken, damit wir das Eigentliche erkennen. Im Glauben, so sagt uns Johannes, erkennen wir die Wahrheit. Da geht uns auf, was uns eigentlich trägt und woraus wir leben. Dieser Glaube befreit uns vom Verhaftetsein im Vordergründigen, in Leistung und Anerkennung, in Beliebtsein und Starksein. Wir leben in einer Wirklichkeit, die uns diese Welt nicht streitig machen kann. So hat Glaube immer mit Freiheit zu tun.
Du siehst, wie sehr die Menschen über den Glauben nachgedacht haben. Aber was erhoffst Du Dir vom Glauben? Denkst Du bei Glauben sofort daran, dass Du alles für wahr halten musst, was die Kirche lehrt? Oder heißt für Dich glauben vor allem, an die Existenz Gottes zu glauben gegen alle Argumente des Verstandes, die Dir Deine Umgebung vorhält, wenn Du Dich als gläubig bezeichnest? Ist Dein Glaube von Zweifeln bedrängt, ob das mit Gott und Jesus Christus nicht alles Einbildung ist? Der Engel des Glaubens möchte Dich nicht überzeugen, dass Du alles glauben sollst, was Dir die Kirche sagt. Er will Dich vielmehr in eine neue Weise zu leben einführen. Er möchte Dir die Augen öffnen, damit Du das Geheimnis hinter allen Dingen siehst, dass Du mit der unsichtbaren Welt in Berührung kommst, mit der Deine Seele immer schon in Kontakt ist. Der Glaube entspricht Deiner Seele. In ihm kann sie atmen, in ihm fühlt sie sich zu Hause.
Der Engel des Glaubens möchte Dich befreien von Deinem Zwang, Dich immer selbst beweisen, immer alles richtig machen und Deine Daseinsberechtigung durch gute Werke erkaufen zu müssen. Und der Engel des Glaubens möchte Dich in die Welt Gottes hinein begleiten. Er möchte den Schleier wegziehen, der über allem liegt, damit Du die tiefste Wahrheit Deines Lebens erkennst, die Wahrheit, dass Gott da ist, dass Gott Dich liebt, dass Gottes Liebe Dich durchdringt und Dich einhüllt. Ich wünsche Dir, dass der Engel des Glaubens bei Dir ist, wenn Dich Zweifel befallen oder wenn Du Dich hilflos fühlst gegenüber den rationalen Erklärungen Deiner Bekannten, die Dir beweisen möchten, dass Gott doch nur eine Einbildung ist, die man heute in unserem aufgeklärten Jahrhundert beiseite legen müsste. Habe keine Angst vor dem Zweifel. Der Zweifel gehört zu uns und unserem Glauben. Glaube ist immer nur überwundener Zweifel. Aber ohne diese Überwindung des Zweifels gibt es kein echtes Menschsein. Ohne sie, so meint Ladislaus Boros, "schließt sich der Mensch in sich selbst hinein, wird klein, betrachtet seine Gegenwart als Abschluss, geht im Gehabten, im 'Immer-schon-Bekannten' und Gewöhnlichen auf". Trau dem Engel des Glaubens. Er zeigt Dir, dass das Unsichtbare genauso wirklich ist wie das Sichtbare, dass Gott Dein Leben trägt und dass Du in Gottes guter Hand bist und in Gott feststehen kannst inmitten aller Stürme des Lebens.
Silbereule, 24.06.2004
